Sonderkulturbetriebe in Not

15 € Mindestlohn bringt heimische Landwirtschaft ans Limit

Am Freitag steht fest, wie weit der Mindestlohn 2026 steigen soll. Die Bauern warnen nochmals, was das für gravierende Folgen hätte. Die IG BAU kontert, es gebe doch schon viele Ausnahmeregelungen.

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Die Mindestlohnkommission will am Freitag (27.6.) ihre Empfehlung bekannt geben, wie sich der Mindestlohn künftig entwickeln sollte. Der bisherige Plan, den Lohn 2026 auf mindestens 15 €/Stunde anzuheben, bereitet der Landwirtschaft große Sorgen. Besonders für arbeitsintensive Sonderkulturbetriebe – etwa im Obst-, Gemüse- oder Weinbau – würde ein solcher Schritt zu einem massiven wirtschaftlichen Einschnitt führen.

Wirtschaftlicher Druck wächst – Anbauflächen schrumpfen

„Ein gesetzlicher Mindestlohn von 15 € ist für viele bäuerliche Betriebe nicht mehr tragbar“, warnt Bernhard Bolkart, Präsident des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverbands (BLHV). In Sonderkulturen wie Erdbeeren, Spargel oder Tafelobst machen die Löhne bis zu 60 % der Produktionskosten aus. „Steigen diese Kosten weiter, können sie nicht einfach an die Verbraucher weitergegeben werden – dafür ist der internationale Preisdruck durch billige Importware zu hoch“, so Bolkart.

Die Folge: Die Produktionskosten steigen, die Verkaufspreise bleiben – der wirtschaftliche Spielraum schrumpft. Bereits jetzt hinterlässt der Kostendruck Spuren: Seit Einführung des Mindestlohns im Jahr 2015 ist die deutsche Erdbeerproduktion um fast 30 % zurückgegangen, die Anbaufläche sogar um 31 %.

In Baden-Württemberg sank die Freiland-Gemüsefläche seit 2016 um über 14 % – besonders betroffen sind Salate, Spargel und Kohlarten.

Bundeslandwirtschaftsminister Alois Rainer will den Bauern ermöglichen, Saisonarbeitern weniger als den Mindestlohn zu zahlen. Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte der CSU-Politiker, er habe eine Prüfung veranlasst, ob Ausnahmen vom Mindestlohn rechtssicher möglich sind.

Regionale Versorgung leidet

Die Zahlen zeigen: Die heimische Produktion steht unter Druck – mit Folgen für die Versorgung. In Baden-Württemberg liegt der Selbstversorgungsgrad bei Obst bei lediglich 35 %, bei Gemüse sogar nur bei 22 %. „Wenn regionale Betriebe aufgeben, gefährdet das nicht nur die Versorgung mit frischen Lebensmitteln, sondern auch Arbeitsplätze, bäuerliche Existenzen und die Pflege der Kulturlandschaft“, warnt Bolkart. „Wer Ernährungssicherheit ernst nimmt, darf die Landwirtschaft nicht weiter unter steigende Kosten setzen.“

BLHV fordert politische Gegenmaßnahmen

Der BLHV fordert daher gezielte politische Maßnahmen, um den Strukturbruch in der Sonderkultur-region Südbaden aufzuhalten. Dazu gehören branchenspezifische Ausnahmeregelungen beim Mindestlohn. Gleichzeitig müssen steigende Kosten durch geeignete Fördermaßnahmen, Steuererleichterungen und Bürokratieabbau abgefedert werden.

Darüber hinaus fordert der Verband eine konsequente Regulierung von Importprodukten, die unter deutlich niedrigeren Sozial- und Umweltstandards erzeugt wurden.

„Es geht nicht darum, faire Löhne in Frage zu stellen – es geht darum, wie sie in einer Branche, die im internationalen Wettbewerb steht, tragfähig gestaltet werden können“, so Bolkart. „Ein pauschaler Mindestlohn von 15 € ohne branchenspezifische Differenzierung und Ausgleichsbegleitung würde den Strukturwandel drastisch beschleunigen – mit weitreichenden Folgen für Betriebe, Verbraucher und die gesamte Region.“

Hauk: Kann Landwirtschaft noch auskömmlich betrieben werden?

Auch Baden-Württembergs Agrarminister Peter Hauk (CDU) mahnt die Kommission, Augenmaß walten zu lassen. Die spezifischen Bedürfnisse der landwirtschaftlichen Produktion müssten angemessen berücksichtigt werden.

„Denn es geht nicht nur um betriebswirtschaftliche Erwägungen. Es geht vor allem darum, ob sich Landwirtschaft als Ganzes in unserem Land noch lohnt und auskömmlich betrieben werden kann, vor dem Hintergrund des globalen Wettbewerbs, eines dynamischen Marktumfeldes, einschließlich der aktuellen Herausforderungen die Struktur- und Klimawandel bedingen.“

Die Lohnkosten sind laut dem Minister in der Obst- und Gemüseproduktion schon heute mit bis zu 60 % der größte Kostenblock. Zudem sei zu differenzieren zwischen hier dauerhaft lebenden Beschäftigten, deren Mindestlohn zur Deckung der gestiegenen Lebenshaltungskosten beiträgt und Saisonarbeitskräften, die nur kurzfristig in Deutschland arbeiten und in ihrer Heimat keine vergleichbar hohen Lebenshaltungskosten haben. „Das ist eine soziale Ungerechtigkeit gegenüber Mindestlohnempfängern, die in Deutschland dauerhaft leben. Aufgrund der höheren Sozialabgaben erhalten diese netto weniger vom Mindestlohn als zeitweilig, saisonal beschäftigten Arbeitnehmer. Daher muss auf eine Mindestlohnerhöhung im Sektor Landwirtschaft zwingend verzichtet werden, um der weiteren Wettbewerbsverzerrung aber auch der Benachteiligung einheimischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wirksam entgegen zu treten“, sagte Hauk.

Gewerkschaft strikt gegen Ausnahme

DBV-Präsident Joachim Rukwied hatte daher vorgeschlagen, Saisonarbeitskräften in der Landwirtschaft, die ihren Lebensmittelpunkt in anderen europäischen Ländern haben, künftig nur 80% vom gesetzlichen Mindestlohn zu zahlen.

Als „völlig unannehmbar“ empfindet die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) den Vorschlag. IG BAU-Bundesvorsitzender Harald Schaum sollte niemand weniger als diese 15 € bekommen, da es – wie der Name schon sagt – eine Mindestuntergrenze sei. Die Menschen müssten einigermaßen davon leben können. Er hält es für inakzeptabel, bei den Arbeitskräften zu sparen, die oftmals an der Armutsgrenze lebten.

Diese Privilegien haben Landwirte heute schon

Laut Schaum gibt es übrigens schon Ausnahmen für die Agrarbetriebe. So könne eine kurzfristige Beschäftigung unter bestimmten Voraussetzungen sozialversicherungsfrei sein. Und bei der Krankenversicherung werde mit dem Abschluss einer Gruppenkrankenversicherung gespart. Die habe längst nicht so viele Leistungen wie eine gesetzliche Krankenkasse.

Darüber hinaus ermögliche das Einkommensteuergesetz unter bestimmten Bedingungen eine Pauschalbesteuerung von 5% des Arbeitslohns. Das erspare den Arbeitgebern Bürokratie. Schließlich könnten Betriebe die täglichen Kosten für Unterkunft und Verpflegung direkt vom Lohn abziehen. „Und das wird weidlich ausgenutzt. In unseren jährlichen Monitorberichten sind das oftmals bis zu 50 % des Lohns“, erläuterte Schaum.

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